Maxi Besold an ihrem 80. Geburtstag (Foto: privat)

Daten zum lebensgeschichtlichen Interview

Name der Interviewten: Maxi Besold (geb. Schwaiger)

Aufnahmedatum: 13. Dezember 1991

geführt von: Ludwig Eiber

Dauer: ca. 160 Min.

Transkription: vorhanden, 104 Blatt

Signatur:










Inhalt

Elternhaus und Kindheit

Maximiliane Therese „Maxi“ Besold, geb. am 7. November 1921 in München;

Kindheit in Arbeiterfamilie in München-Ramersdorf; Vater (geb. 1891) arbeitete als Heizer im städtischen Muffatwerk; Mutter (geb. 1893) arbeitete bis zur Geburt der Schwester aushilfsweise als Verkäuferin im Konsumverein; 1 Schwester (8 Jahre jünger);

Genossenschaftswohnung (Wohnküche und Schlafzimmer) in Abenthumstraße 1;
In Nachbarschaft v.a. SPD-Angehörige und Gewerkschafter wohnhaft; In späteren Jahren Veränderung des Viertels durch Bau neuer Wohnanlagen;

Sozialdemokratisch geprägtes Elternhaus; Vater war SPD-Mitglied (hatte aber keine Funktionen in Partei oder Gewerkschaft); Wohnung der Eltern wurde oft an Sonntagen für politische Diskussionen mit anderen Sozialdemokraten genutzt; Vater und einige jüngere Sozialdemokraten, bspw. die Geschwister der Mutter, zeigten sich häufig mit der offiziellen Politik der SPD und der Haltung der „alten SPDler“ unzufrieden; Wechsel zu Kommunisten kam dennoch nie in Betracht; Lediglich ein Onkel wechselte zur KPD;

Besuch eines städtischen Kindergartens (bei Führichschule gelegen); Weltliche u. nette Erzieherinnen; Besold ging sehr gerne in Kindergarten; War gerne unter anderen Kindern, bastelte und sang gerne;

Essensgewohnheiten der Familie;

Schulzeit

1927/28 Einschulung in Führichschule; Simultanschule; Stolz der Eltern, dass Tochter auf derart moderne Schule ging; Besold zählte stets zu den Klassenbesten; Sie lernte gerne; Gemischtgeschlechtliche Klassen;

Besold war freireligiös; Besuch von freireligiösen Unterricht/Moralunterricht und Religionsunterricht; Konflikte mit Kindern insbesondere katholischer Konfession;

Trotz guter Leistungen war Besuch einer höheren Schule aufgrund der Höhe des Schulgeldes nicht möglich;

Antisemitischer Vorfall während der Schulzeit (ca. 1932);

Unterschiedliche politische und weltanschauliche Ansichten der Lehrkräfte;

Drastische Abnahme der Qualität des Unterrichts während der NS-Herrschaft durch Umstellung des Lehrplans auf NS-Ideologie;

Erinnerungen an Beginn der NS-Herrschaft 1933

Da Vater Radiogerät besaß, versammelten sich an Wahlsonntagen oft Bekannte in der Wohnküche der elterlichen Wohnung, um Wahlergebnisse zu verfolgen; Erinnerung, wie die Mutter an einem solchen Wahlsonntag, als die Nationalsozialisten einen Erfolg erzielt hatten, in Tränen ausbrach; Angst Besolds, als Hitler an die Macht kam;

1933 Befürchtung des Vater, abgeholt und inhaftiert zu werden; Vater versteckte sich daher für einige Tage; Entlassung aus Muffatwerk aus politischen Gründen und Arbeitslosigkeit des Vaters; Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation; Sparzwang (bspw. musste Jugendzeitung Besolds abbestellt werden); Dennoch empfand Besold diese Zeit als schön, da der Vater zuhause war und häufig mit ihr Ausflüge in die Wälder unternahm; Vater war ca. 3 Monate arbeitslos und konnte dann die Arbeit im Muffatwerk wieder aufnehmen;

Gerüchte, dass Leute in KZ bzw. Lager kamen; Derartiges wurde aber nur getuschelt;

Freizeitaktivitäten

Die Kinder verbrachten ihre Freizeit beim Spielen „auf den Gassen“ sowie auf den Feldern und Wiesen zwischen Ramersdorf und Berg am Laim, Perlach und Haidhausen; Beliebte Spiele: „Butzelmann“, „Räuber und Schandi“, Drachensteigen lassen, Rollwagenfahren;

Wochenendausflüge mit den Eltern: Fahrradausflüge in die Gegend um Pframmern (Himbeeren pflücken, Pilze sammeln) sowie in die Pupplinger Au;

Besondere Erlebnisse: Kurzurlaub auf Marienberghütte (Naturfreundehütte) im Karwendel (Großvater hatte die Familie eingeladen; Für Besold war dies ein einzigartiges Erlebnis);
Bergausflug mit Eltern auf den Jägerkampf;

Hitlerjugend

Besold ging kurzzeitig aus Neugierde zur Hitlerjugend (HJ)/zum Bund Deutscher Mädel (BDM); Rasch Abneigung gegen den militärischen Drill; Erfand daher Ausreden, um nicht mehr an Treffen teilnehmen zu müssen;

Verschlechterung der Ehe der Eltern / Übertritt des Vaters zu Nationalsozialisten

Vater wechselte zu den Nationalsozialisten über; Hintergrund: Vater hatte über sein Hobby, das Basteln an Radioapparaten, Leute kennengelernt, die aktive Nationalsozialisten waren; Nationalsozialisten des Öfteren zu Besuch in elterlicher Wohnung;
Ehe der Eltern war aus diesem Grund zerrüttet;

Lehrjahre

1937 Beendigung der Schulzeit; Besold fand zunächst keine Lehrstelle;

Ausbildungsplatz als kaufmännische Angestellte bei Delikatessen-Großhandel im Schlachthausviertel; Ausgesprochen geringes Verdienst;

Lehrzeit war für Besold ausgesprochen schlimm; Sie wurde in der Arbeit nur ausgenutzt; Erschwerend kam hinzu, dass Mutter an Tuberkulose erkrankte und in Sanatorium musste; Krankenaufenthalt des Vaters aufgrund Hautkrankheit; Schwester bei Tante untergebracht; Besold blieb allein zurück;
Ungerechte Behandlung insbesondere durch ihre Chefin;
Entwicklung von Minderwertigkeitsgefühlen; Arbeitsleistung ließ tatsächlich nach;

Dennoch bestand Besold Abschlussprüfung der Handelskammer mit Note 1; Selbstvertrauen kam zurück; Nach Beendigung der Lehrzeit noch ca. 6 Monate in diesem Betrieb beschäftigt;

Sonstige Ereignisse: Ca. 1937/38 verabschiedeten sich jüdische Bewohner des Gebäudes, in dessen Hinterhaus sich der Ausbildungsbetrieb Besolds befand; Sie weinten dabei furchtbar; Besold habe damals nicht begriffen, weshalb diese Leute weggingen;

Arbeitsplatzwechsel zur Volksfürsorge

Für Bewerbung um Arbeit bei der Volksfürsorge in München benötigte Besold eine Bescheinigung über ihr Engagement beim BDM; Bekannte stellte ihr, obwohl sie stets geschwänzt hatte, Bescheinigung aus; Um auch weiterhin nicht zum BDM zu müssen, meldete sich Besold beim Roten Kreuz; Dort Ausbildung zur Schwesternhelferin;

Wechsel des Arbeitsplatzes zur Volksfürsorge in München; Gutes Verdienst; Zunächst als Sekretärin des Direktors tätig; Später Sachbearbeiterin im Ressort Sachversicherung; Volksfürsorge galt als fortschrittlicher Arbeitgeber (Zunächst war der Mittwochnachmittag arbeitsfrei, samstags wurde nur bis 13 Uhr gearbeitet; Nach Kriegsbeginn Ausdehnung der Arbeitszeiten);

Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939;

Bei Volksfürsorge in Regensburg war Stelle freigeworden; Bewerbung Besolds, da sie die Chance erblickt, der inzwischen unerträglichen Situation zuhause zu entkommen;
Umzug nach Regensburg; rd. 1 Jahr Arbeit bei Volksfürsorge Regensburg;
Umzug nach Passau und Arbeit bei Volksfürsorge Passau;

Parallel zur beruflichen Tätigkeit Engagement Besolds bei Rotem Kreuz in Passau; Versorgung durchreisender Soldaten am Bahnhof Passau;

Politische Zugehörigkeit von Vorgesetzten u. Arbeitskollegen;

Einberufung der männlichen Arbeitskollegen zur Wehrmacht; Zuletzt arbeitete in Niederlassung der Volksfürsorge Passaus lediglich Besold sowie ein Auszubildender; Auflösung der Volksfürsorge Passau;

Graphitwerk Kropfmühl

Ca. 1942 Dienstverpflichtung Besolds in das Graphitwerk Kropfmühl; Tätigkeit als Sekretärin des Ingenieurs des Bergwerks;

Harte Arbeitsbedingungen der Bergmänner;

Arbeitseinsatz von französischen und sowjetischen Kriegsgefangenen; Kriegsgefangenenlager befanden sich auf dem Betriebsgelände;

Solidarität der Bergmänner gegenüber den Kriegsgefangenen (Teilen der Brotzeiten);

Verschwinden von Sprengstoff; Ermittlungen der Gestapo und Durchsuchung der Kriegsgefangenenlager;

Fluchten sowjetischer Kriegsgefangener; Vermutung Besolds, dass deutsche Bergmänner bei Fluchten behilflich waren;

Einige sowjetische Kriegsgefangene mussten über Tage arbeiten; Gerüchte, dass ein Bewacher ausgesprochen brutal war; Dieser habe Unfall erlitten, wobei er unter einen Rollwagen geraten sei; Der Bewacher sei schwer verletzt worden; Ein sowjetischer Kriegsgefangener habe den Rollwagen gezogen; Einleitung von Ermittlungen gegen den Kriegsgefangenen;

Nov. 1944 Einberufung zum Arbeitsdienst;
Bemühungen des Vorgesetzten, dass Besold vom Arbeitsdienst zurückgestellt würde, hatten keinen Erfolg;

Fliegerhorst Schleißheim

Meldung in einer Münchner Kaserne; Dort ausschließlich junge Frauen aus dem gesamten Deutschen Reich untergebracht; Wenige Tage Aufenthalt; Mit Omnibussen nach Feldmoching/Schleißheim zum eigentlichen Einsatzort transportiert;

Unterbringung in Barackenlager bei Fliegerhorst;

Im Fliegerhorst Aufteilung der Frauen in 3 Berufsgruppen (Schlosserinnen, Elektrikerinnen und Flugzeugmalerinnen); Besold meldete sich zu den Flugzeugmalerinnen;

4-wöchige Schulung in Beschriftung und Bemalung von Flugzeugen sowie in Flugtechnik; Abschließende Prüfung;

Ungehorsames Verhalten der zum Arbeitsdienst einberufenen Frauen gegenüber Führerinnen (Blitzmädchen) und männlichen Vorgesetzten; Unordnung auf den Stuben; Weigerung Besolds, bei Gasappell Maske aufzusetzen; Unerlaubter Besuch zu Hause;

Im Januar 1945 unerlaubtes Entfernen vom Fliegerhorst; Fahrt zum Graphitwerk Kropfmühl, um das Hab und Gut, welches Besold dort untergestellt hatte, zu holen; Insgesamt war Besold 5 bis 6 Tage unterwegs; Zimmerkameradinnen hatten versucht, Besold zu decken; Dennoch war ihre Abwesenheit bemerkt worden; Besold musste sich bei Unteroffizier melden; Dieser schimpfte lediglich, ließ Besold aber unbescholten;

Bekanntschaft zu Flugzeugkundelehrer; Dieser gab Besold Sonderunterricht in Flugzeugkunde; Es stellte sich heraus, dass der Lehrer Kommunist war; Er machte Besold auf ein Kommando aus KZ-Häftlingen aufmerksam, die Blindgänger entschärfen mussten; Flugzeugkundelehrer nahm Kontakt zu den KZ-Häftlingen auf und steckte ihnen Zigaretten zu;

Ständiger Fliegeralarm in München; Angst um Familie;
Im Frühling 1945 Bombardierung des Geländes des Fliegerhorsts; Besold konnte sich in einen der Gräben retten; Etliche Todesopfer unter den Angehörigen des Fliegerhorsts;

Mitte Apr. 1945 Auflösung des Lagers; Frauen sollte verlegt werden; Entschluss Besolds, nicht von München wegzugehen; Besold entzog sich der Verlegung, floh aus dem Lager und ging nach Hause;

Kriegsende in Bad Tölz

Mutter war aufgrund der ständigen Luftangriffe völlig zermürbt; Entschluss, dass sie mit Fahrrad nach Bad Tölz fahren und dort bei Bekannten des Vaters das Kriegsende abwarten sollte; Besold und ihre Schwester verblieben einstweilen noch in München; Entschluss, ebenfalls nach Bad Tölz zu gehen (schließlich hatte Besold unerlaubt das Lager/den Fliegerhorst verlassen u. wurde evtl. gesucht); Mit Fahrrad nach Bad Tölz; Unterkunft bei einem Bauern;

Die Schwestern erhielten bei Ankunft die Mitteilung, dass Mutter auf dem Weg in Bombenangriff geraten war; Sie befand sich schwer verletzt in einem Lazarett in Bad Tölz;

Eine Panzersperre wurde von 13- oder 14-jährigen Buben bewacht; Aufforderung Besolds, dass sie Waffen wegwerfen u. nach Hause gehen sollten; Drohungen eines SS-Angehörigen, der den Vorfall beobachtet hatte; Später liefen die Buben wirklich davon;

Besold wurde Augenzeugin eines Todesmarsches von KZ-Häftlingen durch Bad Tölz;

Ankunft amerikanischer Streikkräfte in Bad Tölz;

Vergebliche Bemühungen Besolds bei der amerikanischen Kommandantur, Berechtigungsschein für Rückkehr nach München zu erhalten; Schließlich Antritt der Heimreise nach München mit dem Fahrrad ohne Berichtigungsschein;