Aufforderung der Stadthauptmannschaft in Lemberg an Nathan Bernstein zum Verlassen der Wohnung, 1941
(AMA, Nachlass RA Konrad Kittl, Hängeregister)


Natan Bernstein wurde am 19. Oktober 1906 in Skalat als Kind jüdischer Eltern geboren. Nachdem er seine Schulausbildung beendet hatte, arbeitete er als Buchhalter und heiratete 1933. Er war zu dieser Zeit sportlich und unternehmenslustig. Im Jahr 1935 eröffnete er in Lemberg sein eigenes Geschäft für Galanterie- und Papierwaren und fand ein gutes Auskommen.

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion fiel Lemberg im Sommer 1941 unter deutsche Besatzung. Die Ereignisse der folgenden Monate sollten das Leben Bernsteins unwiderruflich verändern. Er verlor sein Geschäft, kurze Zeit später auch seine Wohnung. Ab September 1941 musste er im Ghetto leben. Dort verstarb noch im selben Jahr seine Ehefrau an den katastrophalen Haftbedingungen. Die Besatzer zwangen Bernstein zu ausgesprochen schweren Arbeiten. Im Sommer 1942 wurde er während der Arbeit von einem Aufseher solange geschlagen, bis er ohnmächtig zusammenbrach. Zeit seines Lebens hatte Bernstein an den gesundheitlichen Folgen dieser brutalen Misshandlungen zu leiden. 1942 gelang Bernstein die Flucht aus dem Ghetto. Er lebte die folgenden zwei Jahre versteckt im Untergrund – in ständiger Angst, von den deutschen Behörden ergriffen zu werden. Als er 1944 von der Roten Armee befreit wurde, war Bernsteins körperlicher Zustand sehr schlecht.

Ehe Bernstein 1947 nach Israel auswanderte, hielt er sich in verschiedenen Städten in Polen und Deutschland auf.

Das oben abgebildete Schreiben der Stadthauptmannschaft in Lemberg, in dem Nathan Bernstein aufgefordert wurde, seine Wohnung zu verlassen, ist der Hinterlassenschaft des Münchner Rechtsanwalts Koni Kittl entnommen. Insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren vertrat Kittl etwa 1.500 Personen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche auf Entschädigung für erlittene „Schäden an Körper und Gesundheit“. Seine seit 2009 im Archiv der Münchner Arbeiterbewegung verwahrten Akten über die Entschädigungsverfahren geben nicht nur Einblick in die verschiedenen Stationen der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik und das Leid, das der jüdischen Bevölkerung Europas zugefügt wurde, sondern auch in die Entschädigungspraxis in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit.

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Screenshot der von Steffen Müller erarbeiteten Website über die Entschädigungsakten des Rechtsanwalts Kittl

Steffen Müller, Mitarbeiter des Archivs der Münchner Arbeiterbewegung e.V., hat in den vergangenen Jahren den umfangreichen Bestand aufgearbeitet und die Akten in der Datenbank erfasst. Die Ergebnisse seiner Auswertung und viele weiterführende Informationen wird das Archiv in Kürze auf einer Internetseite präsentieren.


Wir informieren Sie, sobald der Termin feststeht, an dem die Website in einer Veranstaltung eröffnet wird.

Aus dem Archiv – Aufforderung zum Verlassen der Wohnung, 1941